Bernhard Endres in der Alten Vogtei in Wolframs-Eschenbach auf dem Treppenschrägaufzug

„Es mangelt an der Online-Buchbarkeit“

Infotag übers barrierefreie Reisen im Seenland legt Finger in die Wunde.
Der Veranstaltungsort war gut gewählt, denn im Wolframs-Eschenbacher Hotel-Gasthof „Alte Vogtei“ gelingt der Spagat zwischen der Treue zu historischer Bausubstanz und größtmöglicher Barrierefreiheit. Damit empfiehlt es sich auch als Ziel fürs „barrierefreie Reisen“, um das sich an diesem Infotag alles drehte. Er zeigte Möglichkeiten auf, legte aber auch den Finger in die Wunde.

Die „alte Vogtei
Die „alte Vogtei“ setzt zwar auf Barrierefreiheit, ist aber noch nicht nach „Reisen für Alle“ zertifiziert.

Bahnhöfe seien dabei „die schwierigste Baustelle“

Im Fränkischen Seenland seien zwar schon viele Dinge umgesetzt worden, um Menschen die auf Rollstühle, Rollatoren oder Krücken angewiesen sind oder denen beim Schieben des Kinderwagens über holpriges Pflaster die Freude getrübt wird, das Leben zu erleichtern. Sagte der Zweckverbandsvorsitzende, Weißenburgs Landrat Gerhard Wägemann. Ein flächendeckendes Angebot gebe es aber nicht und das „werden wir auch nicht schaffen können“. Die Bahnhöfe seien dabei „die schwierigste Baustelle“, aber auch die Unterkünfte seien eine große Herausforderung. „Wir müssen Kompromisse eingehen“, gestand Wägemann ein, „es gilt, dicke Bretter zu bohren“.


Der Pleinfelder Bahnhof wird bis 2021 barrierefrei sein, so die DB.

„Experten in eigener Sache“ einbinden

Optimierungen können eben auch mal recht lange dauern, wie Christa Schmidt vom Büro der Behindertenbeauftragen für Bayern deutlich machte. Schneller ginge es vielleicht, wenn in jenen Dienstleistungssektoren, die sich um Barrierefreheit im Tourismus mühen, auch verstärkt „Experten in eigener Sache“ eingestellt würden, regte Schmidt an. Der Schönheitsfehler im eigenen Amt: Das Signet „Bayern barrierefrei“ beinhaltet keine Zertifizierung.

Redner
Hoffen mit den weiteren Rednern des Tages auf den weiteren Siegezug von „Reisen für Alle“: Christa Schmidt, Hans-Dieter Niederprüm, Sascha Zobel, Rüdiger Leidner und Gisela Moser (von links).

Bundesweit einheitliches Info- und Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“

Das bietet das bundesweit einheitliche Info- und Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“, das vom „Tourismus für Alle Deutschland“ (NatKo) koordiniert wird. Worum es dabei geht, erläuterte Projektleiter Sascha Zobel. Er selbst plauderte dabei aus dem Nähkästchen, seine Partnerin sei eine „dynamische Frau, die im Rollstuhl sitzt“. Das habe die Urlaubsplanung von drei Stunden auf drei Wochen verlängert. Das sollte sich ändern. Man müsse Schluss machen mit verwirrender Begriffsvielfalt wie rollstuhlgerecht und rollstuhlgeeignet. Eine äußerst detaillierte Aufbereitung der Daten und deren Verarbeitung in Piktogrammen solle den Nutzern von „Reisen für Alle“ schnell ans Ziel helfen.

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Ungenaue Angaben können gesamten Urlaub ruinieren

Gerade für die Detailtreue des Systems gab es großes Lob der Referentin Gisela Moser, Spezialistin für Tourismus-Marketing und barrierefreies Reisen. Denn ungenaue Angaben könnten hier Verheerendes anrichten, sagte sie. „Eine Badezimmertür, die für den Rollstuhlfahrer nicht breit genug ist, kann ihm den gesamten Urlaub ruinieren“, gab sie zu bedenken. Was das Marketing der Angebote anbelangt, empfahl sie, die Bezeichnung „barrierefrei“ möglichst zu vermeiden und stattdessen konkret zu formulieren, was sich im jeweiligen Fall dahinter verbirgt, zum Beispiel „stufenlos“. Sie war es aber auch, die ihren Finger in die größte Wunde in Sachen barrierefreies Reisen legte: „Es mangelt an der Online-Buchbarkeit“.

„Reisen für alle“ an große Urlaubsportale anbinden

Die sollte das große Ziel sein, pflichtete auch Ernst Birnmeyer vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie Mitgründer des Arbeitskreises „Seenland barrierefrei“ zwar bei. Doch sei es eine gute Idee, auf dem Weg zu diesem Ziel „Reisen für Alle“ mit anderen Klassifizierungen zu verbinden. Dazu aber sei jene Zertifizierung „viel zu komplex“, entgegnete NatKo-Vorsitzender Rüdiger Leidner. So hat also jedes Angebot weiter seine eigene Datenbank und seine eigene Zertifikatsschilder mit den eigenen Piktogrammen. Bernhard Endres, Rollstuhlfahrer aus der Gemeinde Pleinfeld und Initiator von „Seenland barrierefrei“, drängte in Sachen Online-Buchbarkeit darauf, „Reisen für Alle“ an große Online-Portale wie „www.booking.com“ anzubinden.

Hans-Dieter Niederprüm, der Vorsitzende des Tourismusverbandes Fränkisches Seenland, demonstrierte, welche barrierefreien Angebote es bereits gibt. So gebe es knapp 40 rollstuhlgerechte Unterkünfte und drei Seencampingplätze mit barrierefreien Einrichtungen. 24 Betriebe seien bereits nach „Reisen für Alle“ zertifiziert und in entsprechenden Reiseprogrammen auch miteinander verknüpft. Baderampen, Tiralos, barrierefreie Schifffahrtslinien und Aussichtsplattformen wie auf der Vogelinsel im Altmühlsee hob Niederprüm unter anderem hervor. Barrierefreiheit sei auch ein Merkmal der Umweltstation am Rothsee, die zudem ein Gebärden-Memory anbiete.

Quelle: Jürgen Leykamm

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